Bundesgerichtshof legt Europäischem Gerichtshof Fragen
zur Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen vor
Bundesgerichtshof Mitteilung der Pressestelle -Nr. 081/2016 vom 10.05.2016
Beschluss vom 3. März 2015 - I ZB 2/15
Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über
Schiedsverfahren zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem
Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Wirksamkeit von
Schiedsvereinbarungen in bilateralen Investitions-schutzabkommen zwischen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgelegt.
Die Antragstellerin, die Slowakische Republik, ist seit
1. Januar 1993 Rechtsnach-folgerin der Tschechoslowakei. Sie begehrt die
Aufhebung eines Schiedsspruchs, den die Antragsgegnerin, eine niederländische
Versicherungsgruppe, gegen sie erwirkt hat.
Die Tschechoslowakei und die Niederlande schlossen mit
Wirkung zum 1. Oktober 1992 ein Abkommen über die Förderung und den
gegenseitigen Schutz von Investi-tionen ("Bilateral Investment
Treaty", im Folgenden BIT). Darin verpflichteten sich die Vertragsparteien
dazu, die Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei fair und
gerecht zu behandeln, Betrieb und Nutzung dieser Investitionen nicht durch
unbillige oder diskriminierende Maßnahmen zu beeinträchtigen und den freien
Transfer von Zahlungen, die mit einer Investition im Zusammenhang stehen, zu
gewährleisten. Außerdem stimmten die Vertragsparteien zu, dass über
Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen
Partei ein Schiedsgericht entscheiden sollte.
Mit Wirkung zum 1. Mai 2004 wurde die Antragstellerin
Mitglied der Europäischen Union. Im selben Jahr öffnete sie den slowakischen
Markt für ausländische Anbieter von privaten Krankenversicherungen. Die
Antragsgegnerin wurde mit einem von ihr gegründeten Unternehmen in der
Slowakischen Republik als Krankenversicherer tätig. Nach einem
Regierungswechsel im Jahr 2006 machte die Antragstellerin die Liberalisierung
des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig. Sie verbot den Einsatz von
Versicherungsmaklern, die Ausschüttung von Gewinnen aus dem
Krankenversicherungsgeschäft und die Veräußerung von Versicherungsportfolios.
Nachdem das slowakische Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des
gesetzlichen Verbots von Gewinnausschüttungen festgestellt hatte, ließ die
Antragstellerin durch ein am 1. August 2011 in Kraft getretenes Gesetz
Gewinnausschüttungen wieder zu.
Die Antragsgegnerin behauptet, aufgrund der gesetzlichen
Regulierungsmaßnahmen der Antragstellerin sei ihr ein Schaden in zweistelliger
Millionenhöhe entstanden. Sie hat in Frankfurt ein Schiedsverfahren
eingeleitet, in dem sie die Antragstellerin auf Schadensersatz in Anspruch
genommen hat.
Die Antragstellerin hat die Unzuständigkeit des
Schiedsgerichts gerügt. Sie hat geltend gemacht, mit ihrem Beitritt zur
Europäischen Union sei das im BIT enthaltene Angebot zum Abschluss einer
Schiedsvereinbarung unwirksam geworden, weil es mit dem Unionsrecht nicht
vereinbar und deshalb unanwendbar sei.
Das Schiedsgericht hat seine Zuständigkeit bejaht und die
Antragstellerin dazu verurteilt, an die Antragsgegnerin 22,1 Millionen € nebst
Zinsen zu zahlen. Die Antragstellerin hat beim Oberlandesgericht erfolglos die
Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt. Mit der Rechtsbeschwerde beim
Bundesgerichtshof verfolgt sie ihren Aufhebungsantrag weiter.
Seit dem Beitritt der Antragstellerin zur Europäischen
Union ist das BIT ein unions-internes Abkommen zwischen Mitgliedstaaten. Nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geht das Unionsrecht
früher vereinbarten Regelungen in anderen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten im
Kollisionsfall vor. Die Frage, ob eine Schiedsklausel in einem unionsinternen
BIT mit dem Unionsrecht und insbesondere mit Art. 344*, 267** und 18 AEUV***
vereinbar ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Union bislang nicht
beantwortet.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren deshalb
ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage gestellt, ob
Art. 344, Art. 267 oder Art. 18 Abs. 1 AEUV in der vorliegenden
Fallkonstellation einer Regelung in einem unionsinternen BIT entgegensteht,
nach der ein Investor eines Vertragsstaats bei einer Streitigkeit über
Investitionen in dem anderen Vertragsstaat gegen diesen ein Schiedsverfahren
einleiten darf. Nach Ansicht der Europäischen Kommission dürfen Schiedsgerichte
aufgrund solcher Schiedsklauseln nicht über Streitigkeiten zwischen Privaten
und einem Mitgliedstaat entscheiden.
Das an die Mitgliedstaaten gerichtete Gebot des Art. 344
AEUV, Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Unionsverträge allein
durch die dort vorgesehe-nen Verfahren zu regeln, schließt nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs nicht aus, eine Streitigkeit zwischen einem Unternehmen und
einem Mitgliedstaat vor einem Schiedsgericht auszutragen. Insbesondere sehen
die Unionsverträge kein gerichtliches Verfahren vor, in dem ein Investor
Schadensersatzansprüche geltend machen kann, die ihm aus einem unionsinternen
BIT gegen einen Mitgliedstaat erwachsen.
Der Bundesgerichtshof möchte eine Unvereinbarkeit der
Schiedsklausel mit Art. 267 AEUV ebenfalls verneinen. Die einheitliche
Auslegung des Unionsrechts, die Art. 267
AEUV gewährleisten soll, kann im Schiedsverfahren dadurch sichergestellt
werden, dass vor einer Vollstreckung das staatliche Gericht die Vereinbarkeit
des Schiedsspruchs mit dem Unionsrecht überprüft und bei Zweifeln über die
Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift die Sache dem Gerichtshof der
Europäischen Union vorlegt. Diese Prüfungsbefugnis besteht zwar nur bei grundlegenden
Bestimmungen des Unionsrechts, die für die Erfüllung der Aufgaben der Union und
insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarkts unerlässlich sind, und
deshalb zur öffentlichen Ordnung (ordre public) zählen. Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat dies jedoch bei Schiedssprüchen in Streitigkeiten
zwischen Privaten als zulässig angesehen, weil die Erfordernisse der Effizienz
des Schiedsverfahrens es rechtfertigten, Schiedssprüche nur in beschränktem
Umfang auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht zu überprüfen und die Aufhebung
eines Schiedsspruchs oder die Versagung seiner Anerkennung nur in
außergewöhnlichen Fällen vorzusehen. Der Bundesgerichtshof möchte bei
Schiedsverfahren zwischen einem privaten Unternehmen und einem Mitgliedstaat
keine anderen Maßstäbe anwenden.
Allerdings könnte die Schiedsklausel des BIT gegenüber
Investoren anderer Mitgliedstaaten, die kein Schiedsgericht anrufen können,
eine Diskriminierung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 AEUV darstellen. Das hätte
aber nicht zwangsläufig zur Folge, dass sich die Antragsgegnerin nicht auf die
Schiedsklausel berufen könnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union wird eine Dritte diskriminierende Vorteilsgewährung
regelmäßig dadurch beseitigt, dass die benachteiligten Personen Anspruch auf
die gleiche Behandlung wie die begünstigten Personen haben. Diesen Dritten
müsste also gegebenenfalls bei Streitigkeiten mit der Antragstellerin in
gleicher Weise Zugang zu einem Schiedsgericht gewährt werden.
Vorinstanz: OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 18. Dezember 2014 –
26 Sch 3/13
Karlsruhe, den 10. Mai 2016
*Artikel 344 AEUV
Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streitigkeiten
über die Auslegung oder Anwendung der Verträge nicht anders als hierin
vorgesehen zu regeln.
**Artikel 267 AEUV
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im
Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen
der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.
Wird eine
derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses
Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich,
so kann es diese Frage dem Gerichts-hof zur Entscheidung vorlegen.
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren
bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst
nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden
können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.
…
***Artikel 18 AEUV
Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in
ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit verboten.
…
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
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