Aus dem Alltag einer Rechtsanwältin - von Sinn, Unsinn und Wahnsinn im Dienste der Justitia -
Freitag, 27. Mai 2016
Postbeförderung im 21. Jahrhundert auf Mittelalterniveau
Es ist ja nicht neu.
Trotzdem bin ich immer wieder überrascht, auf welches Postkutschenniveau unsere Briefbeförderung gesunken ist.
Das Mahngericht Stuttgart versandte per BWPost laut Stempel am 19.05.16 einen Brief. Ein weiterer Stempel vom 20.05.16 verrät den Verursacher nicht. Ein dritter Stempel ohne Datum stammt von der Mannheimer Morgenpost. Eingangen ist das Schriftstück heute am 27.05., am 9. Tag nach Versand.
Das gleiche Spiel: Der Startschuss fiel beim LG Freiburg. Vom wem der Datumsstempel vom 20.05.2015 stammt, läßt sich nicht feststellen. Nur eine Privatfirma namens Arriva war irgendwann beteiigt. Eingang via Mannheimer Morgenpost heute am 27.05.1016. Der Brief war also mindestens 8 Tage unterwegs.
Liebe private Postbeförderer: Das Wort "Service" für solche Laufzeiten im 21. Jahrhundert zu verwenden, verbietet sich von selbst.
Da war die kaiserliche Briefbeförderung im Mittelalter schneller.
Von den Briefen, die verloren gehen oder in fremde Briefkästen geworfen werden,ganz zu schweigen.
Montag, 23. Mai 2016
Bank knickt erneut ein und vermeidet eine Entscheidung des BGH zur Frage, ob die Widerrufsbelehrung korrekt über den Fristbegeginn informiert hat.
Verhandlungstermin am 24. Mai 2016, 9.00 Uhr, in Sachen XI ZR 366/15 (Streit um Widerruf bei Verbraucherdarlehensverträgen) -
Der BGH teilt soeben mit, dass die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
Der Termin vom 24.05.2015 wurde aufgehoben.
Man darf also getrost davon ausgehen, dass die beklagte Bank der Klägerseite ein mehr als zufrieden stellendes Abgebot gemacht hat.
Es ging um unklare Fristbelehrungen zum Beginn der Widerrufsfrist in Verbraucherkreditverträgen vom September 2008.
Die Banken scheine enorme Angst davor zu haben, dass die kniffligen Rechtsfragen durch den BGH entschieden werden.
Die Kläger begehren die Feststellung, dass
Darlehensverhältnisse mit der beklagten Bank aufgrund eines am 20. Juni
2014 erklärten Widerrufs "beendet" sind.
Die Beklagte gewährte am 1. September 2008 unter
einer Vorgangsnummer vier "Kredite", von denen zwei noch valutieren. Die
Kredite waren zum 30. Dezember 2009 abzulösen. Anfang 2009 gewährte die
Beklagte unter einer weiteren Vorgangsnummer drei weitere "Kredite",
von denen einer von Mai 2009 noch valutiert. Unter dem 20. Juni 2014
widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss der drei noch laufenden
"Darlehensverträge" gerichteten Willenserklärungen.
Ihrem Antrag festzustellen, dass die noch laufenden
Darlehensverträge durch ihren Widerruf beendet seien, hat das
Landgericht entsprochen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten
hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Der Feststellungsantrag sei zulässig. Die
Kläger hätten ein berechtigtes Interesse daran, gegenüber der Beklagten,
die dies leugne, die Umwandlung der Darlehensverhältnisse in
Rückgewährschuldverhältnisse feststellen zu lassen. Eine Leistungsklage
sei den Klägern nicht möglich, so dass sie nicht über eine bessere
Rechtsschutzmöglichkeit verfügten. Es sei nicht ersichtlich, dass die
Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem
Rückgewährschuldverhältnis einen Saldo zugunsten der Kläger ergeben
könnte. Der Feststellungsantrag sei auch begründet. Den Klägern habe ein
Widerrufsrecht zugestanden. Dieses Widerrufsrecht habe auch für den im
Jahr 2009 geschlossenen Darlehensvertrag gegolten. Den Klägern sei damit
ein neues Kapitalnutzungsrecht eingeräumt worden. Die Darlehensverträge
seien einzeln widerruflich gewesen und einzeln widerrufen worden.
Aufgrund der Vertragsgestaltung sei von einzelnen Darlehen auszugehen.
Jedenfalls gebiete der Schutzzweck des Verbraucherwiderrufsrechts der
Kläger eine je gesonderte Betrachtung. Schließlich hätten die Kläger mit
Schriftsatz vom 5. Juni 2015 vorsorglich den Widerruf der
Gesamtdarlehensverträge erklärt, so dass eine wirksame
Widerrufserklärung nunmehr in jedem Fall abgegeben worden sei. Die Frist
für den Widerruf der auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten
Willenserklärungen der Kläger sei auch nicht abgelaufen gewesen. Die den
Klägern erteilten Belehrungen hätten die den gesetzlichen Vorgaben
nicht entsprechende Fehlvorstellung erweckt, für das Anlaufen der
Widerrufsfrist sei die Übergabe einer von der Beklagten unterzeichneten
Vertragserklärung ausreichend. Dass sich der Belehrungsmangel im
konkreten Fall nicht ausgewirkt habe, sei unerheblich. Auf die
Gesetzlichkeitsfiktion der Musterwiderrufsbelehrung könne sich die
Beklagte nicht berufen, weil sie deren Text verändert habe. Die Kläger
hätten ihr Widerrufsrecht weder verwirkt noch hätten sie es
rechtsmissbräuchlich ausgeübt.
Mit ihrer vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Vorinstanzen:
LG Stuttgart – Urteil vom 13. Februar 2015 – 8 O 278/14
OLG Stuttgart – Urteil vom 21. Juli 2015 – 6 U 41/15
Karlsruhe, den 12. April 2016
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Freitag, 13. Mai 2016
Rechtsmissbrauch bei der Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts?
Streit um
rechtsmissbräuchliche Ausübung eines
Verbraucherwiderrufsrechts - BGH-Verhandlung am 12.07.2016
Meine Meinung: Da wurde wieder mit allen Mitteln versucht, das Widerrufsrecht zu versagen.
Voraussage: Kurz vor dem Termin knickt die Bank ein und unterbreitet dem Kläger ein nicht ablehnbares Angebot.
Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle - Nr. 088/2016 vom 13.05.2016
Terminhinweis am 12. Juli 2016, 10.00 Uhr, in Sachen XI ZR 501/15
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs
eines Darlehensvertrags.
Der Kläger schloss nach seiner Behauptung in einer
Haustürsituation am 25. November 2001 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag,
der der Finanzierung einer Beteiligung an einer Fondsgesellschaft diente. Dem
Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, die auf die zweiwöchige
Widerrufsfrist und darauf hinwies, im Falle des Widerrufs des Darlehensvertrags
komme auch der Beitritt zu der Fondsgesellschaft nicht wirksam zustande. Der
Kläger führte das Darlehen bis zum 15. Januar 2007 vollständig zurück. Mit
Schreiben vom 20. Juni 2014 widerrief er seine auf Abschluss des
Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.
Seine auf Zahlung und Freistellung Zug um Zug gegen
Abtretung der Beteiligung und auf Feststellung gerichtete Klage hat das
Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das
Berufungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt:
Unabhängig davon, ob dem Kläger ein Widerrufsrecht
zugestanden habe, sei sein am 20. Juni 2014 erklärter Widerruf jedenfalls
treuwidrig. Zwar finde das Institut der Verwirkung auf Fälle, in denen die
Parteien über das Bestehen eines "ewigen" Widerrufsrechts stritten, keine
Anwendung. Es fehle das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment, weil
der Darlehensgeber durch eine unzureichende Belehrung das Fortbestehen des
Widerrufsrechts selbst verursacht habe und deshalb grundsätzlich nicht auf die
Nichtausübung des Widerrufsrechts vertrauen könne. In der Erklärung des
Widerrufs liege indessen, was eine umfassende Interessenabwägung ergebe, eine
unzulässige Rechtsausübung. Der Gesetzgeber habe dem Verbraucher ein
Widerrufsrecht eingeräumt, um ihm die Ermittlung günstigerer Angebote zu
ermöglichen und mittels der Einräumung einer Bedenkzeit diejenige Störung der
Vertragsparität auszugleichen, die darin liege, dass Darlehensverträge oft
komplexe und schwer zu durchschauende Regelungen enthielten. Dem Kläger gehe es
dagegen darum, sich von wohlüberlegt und sehenden Auges eingegangenen Risiken
zu befreien, für die etwaige Mängel der Widerrufsbelehrung völlig irrelevant
gewesen seien. Neben dieser Motivlage sei in die Gesamtabwägung der ganz
erhebliche Zeitablauf und der Umstand einzubeziehen, dass die Beklagte den
Kläger über sein Widerrufsrecht dem Grunde nach durchaus belehrt habe. Der
rechtsmissbräuchliche Widerruf sei unwirksam.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
LG Hamburg – Urteil vom 15. April 2015 – 301 O 156/14
Hanseatisches OLG Hamburg – Urteil vom 16. Oktober 2015 –
13 U 45/15
Karlsruhe, den 12. Mai 2016
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Mittwoch, 11. Mai 2016
Ist Standzeit von 19,5 Monaten vor Erstzulassung eines Gebrauchtwagen ein Sachmangel?
Ist Standzeit von 19,5 Monaten vor Erstzulassung ein Sachmangel?
Hierüber wird der Bundesgerichtshof am 29.06.2016 entscheiden.
Bundesgerichtshof Mitteilung der Pressestelle - Nr. 084/2016 vom 11.05.2016
Verhandlungstermin am 29. Juni 2016, 10.00 Uhr, in Sachen
VIII ZR 191/15 (Gebrauchtwagenkauf:
Standzeit von über zwölf Monaten vor Erstzulassung)
In diesem Verfahren streiten die Parteien darüber, ob ein
zwei Jahre und vier Monate nach der Erstzulassung verkaufter Gebrauchtwagen
mangelhaft ist, weil das Fahrzeug zwischen Herstellung und Erstzulassung mehr
als zwölf Monate gestanden hat.
Sachverhalt:
Der Kläger kaufte im Juni 2012 von der Beklagten, einer
Kraftfahrzeughändlerin, einen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 38.616
km zu einem Preis von 33.430 €. Im Kaufvertragsformular war unter der Rubrik
"Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief" der 18. Februar 2010
eingetragen. Ein Baujahr wurde nicht genannt. Später erfuhr der Kläger, dass
das Fahrzeug bereits am 1. Juli 2008 hergestellt worden. Nach Ansicht des
Klägers begründet diese Länge der Standzeit vor Erstzulassung (19 ½ Monate)
einen Sachmangel des Kraftfahrzeugs. Er ist deshalb vom Kaufvertrag
zurückgetreten und verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das
Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die
Wiederherstellung des ertinstanzlichen Urteils.
Vorinstanzen:
Landgericht Göttingen - Urteil vom 27. November 2014 - 4
O 214/13
Oberlandesgericht Braunschweig - Urteil vom 23. Juli 2015
- 9 U 2/15
Karlsruhe, den 11. Mai 2016
*§ 433 BGB Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag
[…] Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach-
und Rechtsmängeln zu verschaffen.
**§ 434 BGB Sachmangel
(1) Die Sache ist
frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte
Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die
Sache frei von Sachmängeln,
[…]
2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet
und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist
und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann.[…]
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Labels:
Autokauf,
Gebrauchtwagen Erstzulassung,
Kaufrecht,
Sachmangel,
Standzeit
Dienstag, 10. Mai 2016
Sind Schiedsvereinbarungen in bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedsstaaten der EU wirksam oder nicht?
Bundesgerichtshof legt Europäischem Gerichtshof Fragen
zur Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen vor
Bundesgerichtshof Mitteilung der Pressestelle -Nr. 081/2016 vom 10.05.2016
Beschluss vom 3. März 2015 - I ZB 2/15
Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über
Schiedsverfahren zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem
Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Wirksamkeit von
Schiedsvereinbarungen in bilateralen Investitions-schutzabkommen zwischen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgelegt.
Die Antragstellerin, die Slowakische Republik, ist seit
1. Januar 1993 Rechtsnach-folgerin der Tschechoslowakei. Sie begehrt die
Aufhebung eines Schiedsspruchs, den die Antragsgegnerin, eine niederländische
Versicherungsgruppe, gegen sie erwirkt hat.
Die Tschechoslowakei und die Niederlande schlossen mit
Wirkung zum 1. Oktober 1992 ein Abkommen über die Förderung und den
gegenseitigen Schutz von Investi-tionen ("Bilateral Investment
Treaty", im Folgenden BIT). Darin verpflichteten sich die Vertragsparteien
dazu, die Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei fair und
gerecht zu behandeln, Betrieb und Nutzung dieser Investitionen nicht durch
unbillige oder diskriminierende Maßnahmen zu beeinträchtigen und den freien
Transfer von Zahlungen, die mit einer Investition im Zusammenhang stehen, zu
gewährleisten. Außerdem stimmten die Vertragsparteien zu, dass über
Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen
Partei ein Schiedsgericht entscheiden sollte.
Mit Wirkung zum 1. Mai 2004 wurde die Antragstellerin
Mitglied der Europäischen Union. Im selben Jahr öffnete sie den slowakischen
Markt für ausländische Anbieter von privaten Krankenversicherungen. Die
Antragsgegnerin wurde mit einem von ihr gegründeten Unternehmen in der
Slowakischen Republik als Krankenversicherer tätig. Nach einem
Regierungswechsel im Jahr 2006 machte die Antragstellerin die Liberalisierung
des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig. Sie verbot den Einsatz von
Versicherungsmaklern, die Ausschüttung von Gewinnen aus dem
Krankenversicherungsgeschäft und die Veräußerung von Versicherungsportfolios.
Nachdem das slowakische Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des
gesetzlichen Verbots von Gewinnausschüttungen festgestellt hatte, ließ die
Antragstellerin durch ein am 1. August 2011 in Kraft getretenes Gesetz
Gewinnausschüttungen wieder zu.
Die Antragsgegnerin behauptet, aufgrund der gesetzlichen
Regulierungsmaßnahmen der Antragstellerin sei ihr ein Schaden in zweistelliger
Millionenhöhe entstanden. Sie hat in Frankfurt ein Schiedsverfahren
eingeleitet, in dem sie die Antragstellerin auf Schadensersatz in Anspruch
genommen hat.
Die Antragstellerin hat die Unzuständigkeit des
Schiedsgerichts gerügt. Sie hat geltend gemacht, mit ihrem Beitritt zur
Europäischen Union sei das im BIT enthaltene Angebot zum Abschluss einer
Schiedsvereinbarung unwirksam geworden, weil es mit dem Unionsrecht nicht
vereinbar und deshalb unanwendbar sei.
Das Schiedsgericht hat seine Zuständigkeit bejaht und die
Antragstellerin dazu verurteilt, an die Antragsgegnerin 22,1 Millionen € nebst
Zinsen zu zahlen. Die Antragstellerin hat beim Oberlandesgericht erfolglos die
Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt. Mit der Rechtsbeschwerde beim
Bundesgerichtshof verfolgt sie ihren Aufhebungsantrag weiter.
Seit dem Beitritt der Antragstellerin zur Europäischen
Union ist das BIT ein unions-internes Abkommen zwischen Mitgliedstaaten. Nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geht das Unionsrecht
früher vereinbarten Regelungen in anderen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten im
Kollisionsfall vor. Die Frage, ob eine Schiedsklausel in einem unionsinternen
BIT mit dem Unionsrecht und insbesondere mit Art. 344*, 267** und 18 AEUV***
vereinbar ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Union bislang nicht
beantwortet.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren deshalb
ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage gestellt, ob
Art. 344, Art. 267 oder Art. 18 Abs. 1 AEUV in der vorliegenden
Fallkonstellation einer Regelung in einem unionsinternen BIT entgegensteht,
nach der ein Investor eines Vertragsstaats bei einer Streitigkeit über
Investitionen in dem anderen Vertragsstaat gegen diesen ein Schiedsverfahren
einleiten darf. Nach Ansicht der Europäischen Kommission dürfen Schiedsgerichte
aufgrund solcher Schiedsklauseln nicht über Streitigkeiten zwischen Privaten
und einem Mitgliedstaat entscheiden.
Das an die Mitgliedstaaten gerichtete Gebot des Art. 344
AEUV, Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Unionsverträge allein
durch die dort vorgesehe-nen Verfahren zu regeln, schließt nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs nicht aus, eine Streitigkeit zwischen einem Unternehmen und
einem Mitgliedstaat vor einem Schiedsgericht auszutragen. Insbesondere sehen
die Unionsverträge kein gerichtliches Verfahren vor, in dem ein Investor
Schadensersatzansprüche geltend machen kann, die ihm aus einem unionsinternen
BIT gegen einen Mitgliedstaat erwachsen.
Der Bundesgerichtshof möchte eine Unvereinbarkeit der
Schiedsklausel mit Art. 267 AEUV ebenfalls verneinen. Die einheitliche
Auslegung des Unionsrechts, die Art. 267
AEUV gewährleisten soll, kann im Schiedsverfahren dadurch sichergestellt
werden, dass vor einer Vollstreckung das staatliche Gericht die Vereinbarkeit
des Schiedsspruchs mit dem Unionsrecht überprüft und bei Zweifeln über die
Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift die Sache dem Gerichtshof der
Europäischen Union vorlegt. Diese Prüfungsbefugnis besteht zwar nur bei grundlegenden
Bestimmungen des Unionsrechts, die für die Erfüllung der Aufgaben der Union und
insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarkts unerlässlich sind, und
deshalb zur öffentlichen Ordnung (ordre public) zählen. Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat dies jedoch bei Schiedssprüchen in Streitigkeiten
zwischen Privaten als zulässig angesehen, weil die Erfordernisse der Effizienz
des Schiedsverfahrens es rechtfertigten, Schiedssprüche nur in beschränktem
Umfang auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht zu überprüfen und die Aufhebung
eines Schiedsspruchs oder die Versagung seiner Anerkennung nur in
außergewöhnlichen Fällen vorzusehen. Der Bundesgerichtshof möchte bei
Schiedsverfahren zwischen einem privaten Unternehmen und einem Mitgliedstaat
keine anderen Maßstäbe anwenden.
Allerdings könnte die Schiedsklausel des BIT gegenüber
Investoren anderer Mitgliedstaaten, die kein Schiedsgericht anrufen können,
eine Diskriminierung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 AEUV darstellen. Das hätte
aber nicht zwangsläufig zur Folge, dass sich die Antragsgegnerin nicht auf die
Schiedsklausel berufen könnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union wird eine Dritte diskriminierende Vorteilsgewährung
regelmäßig dadurch beseitigt, dass die benachteiligten Personen Anspruch auf
die gleiche Behandlung wie die begünstigten Personen haben. Diesen Dritten
müsste also gegebenenfalls bei Streitigkeiten mit der Antragstellerin in
gleicher Weise Zugang zu einem Schiedsgericht gewährt werden.
Vorinstanz: OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 18. Dezember 2014 –
26 Sch 3/13
Karlsruhe, den 10. Mai 2016
*Artikel 344 AEUV
Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streitigkeiten
über die Auslegung oder Anwendung der Verträge nicht anders als hierin
vorgesehen zu regeln.
**Artikel 267 AEUV
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im
Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen
der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.
Wird eine
derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses
Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich,
so kann es diese Frage dem Gerichts-hof zur Entscheidung vorlegen.
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren
bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst
nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden
können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.
…
***Artikel 18 AEUV
Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in
ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit verboten.
…
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Abonnieren
Posts (Atom)