Verstärkung des Mieterkündigungsschutzes!
Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle -Nr. 069/2017 vom 10.05.2017
Bundesgerichtshof führt seine Rechtsprechung zur
Anwendung der Generalklausel bei Wohnraumkündigungen fort (§ 573 Abs. 1 Satz 1
BGB*)
Urteil vom 10. Mai 2017 - VIII ZR 292/15
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer
Entscheidung erneut mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen die
Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter nach der
Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB* - hier zwecks Durchführung eines
sozialen Wohngruppenprojekts durch einen Dritten - wirksam ist.
Sachverhalt und Prozessverlauf:
Die Beklagten sind seit dem Jahr 1996 Mieter einer in
einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung in Rostock, die sie vom
Rechtsvorgänger des Klägers angemietet haben. Das Hausgrundstück, das im Jahr
2014 vom Kläger - einem eingetragenen Verein - erworben wurde, ist außerdem mit
einer Scheune und einem Nebengebäude bebaut. Nach der Darstellung des Klägers
sind sämtliche Gebäude sanierungsbedürftig.
Der Kläger ist zugleich an einer Gesellschaft (GmbH)
beteiligt, die Trägerin vielfältiger Einrichtungen mit umfassender
medizinischer, sozialer, pädagogischer und rehabilitativer Betreuung ist. Diese
beabsichtigt, die Gebäude unter Nutzung von Fördermitteln (Investitionsbetrag
nach §§ 75 ff. SGB XII pro Tag und Wohnplatz) und ohne finanzielle Belastung
für den Kläger im Rahmen eines "Arbeits- und Lebensprojekts" zu
sanieren und umzubauen. Dabei sollen im bisherigen Mehrfamilienhaus und in der
Scheune psychosoziale Wohngruppen mit insgesamt 23 Wohnplätzen und im Nebengebäude
eine Tischlerei und Grünholzwerkstatt untergebracht werden. Der Kläger möchte
das Grundstück zur Verwirklichung dieses Projekts an die Gesellschaft
vermieten.
Mit Schreiben vom 1. August 2013 kündigte der Kläger das
Mietverhältnis mit den Beklagten nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB* und
begründete dies damit, dass andernfalls das geplante Arbeits- und Lebensprojekt
nicht realisiert werden könne. Denn die Zahlung eines Investitionszuschusses
von 2,1 Mio. € sei unabdingbar mit der Schaffung der Wohnplätze auch im
Wohngebäude verbunden. Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten
geltend, ein Kündigungsgrund liege nicht vor.
Die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete
Klage hatte in der ersten Instanz Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat
das Landgericht das erstinstanzliche Urteil allerdings abgeändert und die Klage
abgewiesen, da der Kläger nicht ansatzweise dargelegt habe, welche Nachteile
ihm selbst - und nicht der Gesellschaft - drohten, wenn das Projekt unter
Aussparung der Wohnung der Beklagten umgesetzt würde.
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht war mit der Umsetzung des Projekts unabhängig von den drei für
die streitgegenständliche Wohnung geplanten Wohngruppenplätzen bereits begonnen
worden. Es wurden nicht nur das Nebengebäude, sondern auch einzelne Räume des
Wohnhauses nach ihrer Sanierung schon zweckentsprechend genutzt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige
VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die
streitgegenständliche Kündigung unwirksam ist, weil weder der vom Kläger
geltend gemachte Kündigungstatbestand der Verwertungskündigung (573 Abs. 2 Nr.
3 BGB*) vorliegt noch ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz
1 BGB* gegeben ist. Der Kläger würde durch die Fortsetzung des
Mietverhältnisses mit den Beklagten - selbst wenn man ihm zusätzlich zu seinen
wirtschaftlichen Interessen die Berufung auf die von der Gesellschaft
verfolgten gemeinnützigen Interessen gestattete - keinen Nachteil "von einigem
Gewicht" erleiden. Damit überträgt der Senat seine im Urteil vom 29. März
2017 entwickelte Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Anwendung der
Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB* bei einem Geschäftsbedarf des
Vermieters (VIII ZR 45/16, noch nicht veröffentlicht; Pressemitteilung Nr.
43/2017) auf weitere Fälle des Nutzungsbedarfs des Vermieters.
Auch im nun entschiedenen Fall war einer der typisierten
Regeltatbestände des § 573 Abs. 2 BGB*, in denen der Gesetzgeber für die
praktisch bedeutsamsten Fallgruppen selbst geregelt hat, unter welchen
Umständen dem Erlangungswunsch des Vermieters Vorrang vor dem Bestandinteresse
des Mieters zukommt, nicht einschlägig. Der vom Kläger zusätzlich zur
Generalklausel nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB* benannte Kündigungstatbestand der
Verwertungskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB*) setzt voraus, dass der Vermieter
durch den Fortbestand des Mietverhältnisses an einer Realisierung des dem
Grundstück innewohnenden materiellen Werts, was in erster Linie durch
Vermietung und Veräußerung geschieht, gehindert ist. Nach eigenen Angaben hegt
der Kläger jedoch überhaupt nicht die Erwartung, durch die Vermietung des -
nach der Sanierung im Wert gestiegenen Grundstücks - an die Gesellschaft höhere
Mieteinnahmen zu erzielen, sondern verfolgt vielmehr die Absicht, das Anwesen
der gewerblichen Nutzung zur Umsetzung eines sozialpolitisch erwünschten Zwecks
zuzuführen. Damit schied schon mangels wirtschaftlicher Verwertungsabsicht eine
Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB aus.
Bei Anwendung der danach allein noch in Betracht
kommenden Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB* verlangt das Gesetz eine
einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der
betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten
Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters
als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der
verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche
Betrachtungen verbieten sich dabei.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 29. März 2017
(VIII ZR 45/16; Pressemitteilung Nr. 43/2017) entschieden hat, geben die
typisierten Regeltatbestände des § 573 Abs. 2 BGB* allerdings einen ersten
Anhalt für die erforderliche Interessenbewertung und -abwägung. Die für die
Anerkennung eines berechtigten Interesses im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB*
erforderliche Gewichtigkeit der geltend gemachten Belange ist zunächst davon
abhängig, mit welchem Regeltatbestand das geltend gemachte Interesse am ehesten
vergleichbar ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen reicht es in den Fällen, in
denen das vom Vermieter geltend gemachte Interesse an der Beendigung des
Mietverhältnisses eine größere Nähe zum Eigenbedarfstatbestand aufweist,
regelmäßig aus, dass die Vorenthaltung der Mieträume für den Vermieter einen
beachtenswerten Nachteil begründet. Ist das angeführte Interesse dagegen mehr
mit der von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB* erfassten wirtschaftlichen Verwertung
vergleichbar, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den
Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, der je nach
Fallgestaltung auch die Intensität eines erheblichen Nachteils im Sinne von §
573 Abs. 2 Nr. 3 BGB* erfordern kann.
Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall ein berechtigtes
Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht gegeben.
Dabei kann letztlich sogar offen bleiben, ob sich der Kläger als privater
Vermieter überhaupt auf die Gemeinnützigkeit des von der Gesellschaft (GmbH) -
und damit von einer juristischen Person, mit der er nur gesellschaftsvertraglich
verbunden ist - verfolgten Projekts berufen kann. In diesem Fall wäre sein
Interesse zwar (auch) darauf gerichtet, psychosoziale Wohngruppenplätze
einzurichten, also am Ende die Mietwohnung aus Gründen der Gemeinnützigkeit
wiederum Wohnzwecken (einschließlich einer umfassenden Betreuung) zuzuführen.
Insofern bleibt der personale Einschlag des Nutzungsinteresses jedoch deutlich
hinter dem der Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB*) zurück. Daneben
verfolgt der Kläger auch (signifikante) wirtschaftliche Interessen. Zwar strebt
er nicht die Erzielung höherer Mieten an, er will aber eigene Aufwendungen für
die erforderlichen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen ersparen, indem er das
Grundstück der Gesellschaft zur Verwirklichung des von dieser geplanten - und
inzwischen auch teilweise bereits umgesetzten - Projekts zur gewerblichen
Nutzung überlässt. Außerdem ist er als Gesellschafter an einem möglichen Gewinn
beteiligt.
Insgesamt weist die vom Kläger geltend gemachte
Interessenlage damit eine größere Nähe zur Verwertungskündigung auf, so dass
für die Annahme eines berechtigten Interesses an der Beendigung des
Mietverhältnisses erforderlich ist, dass der Vermieter durch die Vorenthaltung
der Mieträume einen Nachteil von einigem Gewicht erleidet. Diese Schwelle
erreichen die vom Kläger aufgeführten Gründe jedoch nicht. Insbesondere
gefährdet die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach den vom Berufungsgericht
verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Finanzierung und
Verwirklichung des Gesamtprojekts nicht, sondern führt lediglich dazu, dass
drei von insgesamt dreiundzwanzig geplanten Wohngruppenplätzen nicht geschaffen
werden können.
* § 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters
(1) 1Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein
berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. 2Die
Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der
Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn
1.[…]
2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine
Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder
3. der Vermieter durch die Fortsetzung des
Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des
Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde; die
Möglichkeit, durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete
zu erzielen, bleibt außer Betracht; der Vermieter kann sich auch nicht darauf
berufen, dass er die Mieträume im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder
nach Überlassung an den Mieter erfolgten Begründung von Wohnungseigentum
veräußern will.
[…]
Vorinstanzen:
Amtsgericht Rostock - Urteil vom 13. März 2015 - 47 C
438/14
Landgericht Rostock - Urteil vom 13. November 2015 - 1 S
64/15
Karlsruhe, den 10. Mai 2017
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
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