Damit sind zukünftig mindestens bei den ganz krassen Abweichungen vom üblichen Verbrauch die Stromkunden vor der Arroganz und Willkür der Stromlieferanten geschützt!
Bundesgerichtshof -Mitteilung der Pressestelle - Nr. 026/2018 vom 07.02.2018
Bundesgerichtshof zum vorläufigen
Zahlungsverweigerungsrecht des Haushaltskunden gegenüber dem Grundversorger bei
Berechnung eines ungewöhnlich hohen Stromverbrauchs (hier: angebliche Verbrauchssteigerung um
1000 %)
Urteil vom 7. Februar 2018 - VIII ZR 148/17
Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen, das
in Oldenburg die Grundversorgung wahrnimmt und auch die Beklagten im
Grundversorgungsverhältnis unter anderem mit Strom belieferte. Bei den
Beklagten handelt es sich um ein älteres Ehepaar, in dessen Haushalt im
streitgegenständlichen Zeitraum außerdem zeitweise noch ein Enkel lebte.
Für den etwa einjährigen Abrechnungszeitraum 2014/2015
berechnete die Klägerin den Beklagten 9.073,40 € aufgrund eines abgelesenen
Verbrauchs in Höhe von 31.814 kWh. Die Beklagten bestreiten, dass sie die ihnen
in Rechnung gestellte Strommenge, die etwa zehnmal höher ist als ihr Verbrauch
im Vorjahreszeitraum und auch der übliche Verbrauch von Haushalten
vergleichbaren Zuschnittes, tatsächlich verbraucht haben. Den Stromzähler an
der Abnahmestelle hat die Klägerin noch im Juli 2015 ausbauen lassen und
entsorgt, nachdem eine Prüfung durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle
ausweislich des darüber ausgestellten Prüfprotokolls keine Mängel ergeben
hatte.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung der von der
Klägerin in ihrer Rechnung ausgewiesenen Vergütung verurteilt. Auf die Berufung
der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert
und die Klage abgewiesen. Die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen
Fehlers im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV könne sich auch aus
einer enormen und nicht plausibel erklärbaren Abweichung der Verbrauchswerte
von denen vorangegangener oder nachfolgender Abrechnungsperioden ergeben. Dafür,
dass die Beklagten die vorliegend abgerechnete exorbitante Strommenge
tatsächlich selbst verbraucht haben könnten, seien nach ihrem (eher
bescheidenen) Lebenszuschnitt und der Auflistung der in ihrem Haushalt
vorhandenen Stromabnehmer keine Anhaltspunkte zu erkennen. Wie es zu der
Anzeige des außergewöhnlich hohen Verbrauchs gekommen sei, bleibe rätselhaft.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Die Entscheidung des Senats:
Der Senat hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts
bestätigt und die Revision des Energieversorgungsunternehmens zurückgewiesen.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier die "ernsthafte
Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1 StromGVV bestehe, ist angesichts der von ihm festgestellten Umstände
aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, sondern vielmehr nahe liegend.
Insbesondere hat das Berufungsgericht – entgegen der Auffassung der Klägerin -
nicht fehlerhaft einen unzutreffenden, zu Gunsten des Kunden zu großzügigen
Maßstab angelegt.
Die Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV
beruht zwar – ebenso wie die von ihr abgelöste
Vorgängerregelung des § 30 Nr. 1 AVBEltV – auf der Erwägung des
Verordnungsgebers, dass die grundsätzlich zur Vorleistung verpflichteten
Grundversorger nicht unvertretbare Verzögerungen bei der Realisierung ihrer
Preisforderungen hinnehmen müssen, die sich daraus ergeben, dass Kunden
Einwände geltend machen, die sich letztlich als unberechtigt erweisen. Um
Liquiditätsengpässe und daraus folgende Versorgungseinschränkungen zu
vermeiden, wollte der Verordnungsgeber es den Versorgungsunternehmen
ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig kleinen Forderungen mit einer vorläufig
bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende
Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen.
Der Kunde wird deshalb nach § 17 StromGVV im Regelfall
mit seinen Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung (insbesondere Mess-
und Ablesefehler) im Zahlungsprozess des Versorgers ausgeschlossen. Dadurch
wird der Kunde aber nicht rechtlos gestellt. Denn die Darlegungs- und
Beweislast des Versorgers für die Richtigkeit der Abrechnung ändert diese
Regelung nicht. Vielmehr wird die Beweisaufnahme in den Fällen, in denen der
Kunde nach § 17 StromGVV mit seinen Einwendungen ausgeschlossen ist, lediglich
auf den Rückforderungsprozess des Kunden verlagert.
Sofern der Kunde allerdings (wie hier die Beklagten
angesichts des abgelesenen angeblichen enormen Verbrauchs) bereits die
"ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" aufzeigen
kann, ist er mit seinem Einwand nicht auf einen späteren Rückforderungsprozess
verwiesen.
Vielmehr ist sein Einwand, die berechnete Strommenge nicht bezogen
zu haben, schon im Rahmen der Zahlungsklage des Versorgers zu prüfen. Das
Energieversorgungsunternehmen muss dann nach allgemeinen Grundsätzen die
Voraussetzungen seines Anspruchs, also auch den tatsächlichen Bezug der in
Rechnung gestellten Energiemenge beweisen. Insoweit hatte die Klägerin in den
Tatsacheninstanzen jedoch keinen tauglichen Beweis angetreten und den
streitigen Zähler zudem entsorgt.
§ 17 StromGVV Zahlung, Verzug
(1) […]2 Einwände gegen Rechnungen und
Abschlagsberechnungen berechtigen gegenüber dem Grundversorger zum
Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur,
1. soweit die ernsthafte Möglichkeit eines
offensichtlichen Fehlers besteht […]
Vorinstanzen:
Landgericht Oldenburg - Urteil vom 4. November 2016 - 3 O
1532/16
Oberlandesgericht Oldenburg - Urteil vom 19. Mai 2017 - 6
U 199/16
Karlsruhe, den 7. Februar 2018
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen