Bundesgerichtshof -Mitteilung der Pressestelle
Nr. 136/2016 vom 09.08.2016
Anforderungen an Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
im Zusammenhang mit dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
Beschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16
Der u.a. für Betreuungssachen zuständige XII. Zivilsenat
des Bundesgerichtshofs hat sich mit den Anforderungen befasst, die eine Vorsorgevollmacht
und eine Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von
lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen müssen.
Die 1941 geborene Betroffene erlitt Ende 2011 einen
Hirnschlag. Noch im Krankenhaus wurde ihr eine Magensonde gelegt, über die sie
seitdem ernährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Im Januar 2012 wurde
sie in ein Pflegeheim aufgenommen. Die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene
Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verlor sie infolge einer Phase
epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013. Die Betroffene hatte 2003 und 2011 zwei
wortlautidentische, mit "Patientenverfügung" betitelte Schriftstücke
unterschrieben. In diesen war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn
aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns
zurückbleibe, "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollten. An
die "Patientenverfügung" angehängt war die einer ihrer drei Töchter
erteilte Vorsorgevollmacht, dann an ihrer Stelle mit der behandelnden Ärztin
alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen, ihren Willen im Sinne dieser
Patientenverfügung einzubringen und in ihrem Namen Einwendungen vorzutragen,
die die Ärztin berücksichtigen solle.
Außerdem hatte die Betroffene 2003 in einer notariellen
Vollmacht dieser Tochter Generalvollmacht erteilt. Diese berechtigte zur
Vertretung auch in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung. Die
Bevollmächtigte könne "in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, in
eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs
einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen." Die
Vollmacht enthielt zudem die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder
Maßnahmen zu entscheiden mit dem Zusatz, dass die Betroffene im Falle einer zum
Tode führenden Erkrankung keinen Wert auf solche Maßnahmen lege, wenn
feststehe, dass eine Besserung des Zustands nicht erwartet werden könne.
Die Bevollmächtigte und die die Betroffene behandelnde
Hausärztin sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Abbruch der
künstlichen Ernährung gegenwärtig nicht dem Willen der Betroffenen entspricht.
Demgegenüber vertreten die beiden anderen Töchter der Betroffenen die
gegenteilige Meinung und haben deshalb beim Betreuungsgericht angeregt, einen
sog. Kontrollbetreuer nach § 1896 Abs. 3 BGB zu bestellen, der die ihrer
Schwester erteilten Vollmachten widerruft. Während das Amtsgericht dies
abgelehnt hat, hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben
und eine der beiden auf Abbruch der künstlichen Ernährung drängenden Töchter
zur Betreuerin der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis "Widerruf der von der
Betroffenen erteilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der
Gesundheitsfürsorge", bestellt. Die Rechtsbeschwerde der bevollmächtigten
Tochter war erfolgreich. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht.
Ein Bevollmächtigter kann nach § 1904 BGB die
Einwilligung, Nichteinwilligung und den Widerruf der Einwilligung des
einwilligungsunfähigen Betroffenen rechtswirksam ersetzen, wenn ihm die
Vollmacht schriftlich erteilt ist und der Vollmachttext hinreichend klar
umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die
im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu
unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der
Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der
begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden
gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann. Ob die beiden von der
Betroffenen erteilten privatschriftlichen Vollmachten diesen inhaltlichen
Erfordernissen gerecht werden, unterliegt Bedenken, weil sie nach ihrem
Wortlaut lediglich die Ermächtigung zur Mitsprache in den in der
Patientenverfügung genannten Fallgestaltungen, nicht aber zur Bestimmung der
Vorgehensweise enthalten. Jedenfalls die notarielle Vollmacht genügt aber den
gesetzlichen Anforderungen.
Eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901
a Abs. 1 BGB entfaltet unmittelbare Bindungswirkung nur dann, wenn ihr konkrete
Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in
bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen
werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen,
wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen,
wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die
Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden.
Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was
er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Die
Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält
jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete
Behandlungsentscheidung. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber
gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die
Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder
Behandlungssituationen erfolgen.
Danach kommen sowohl die beiden privatschriftlichen
Schriftstücke als auch die in der notariellen Vollmacht enthaltenen Äußerungen
nicht als bindende, auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete
Patientenverfügungen in Betracht. Sie beziehen sich nicht auf konkrete
Behandlungsmaßnahmen, sondern benennen ganz allgemein "lebensverlängernde
Maßnahmen". Auch im Zusammenspiel mit den weiteren enthaltenen Angaben
ergibt sich nicht die für eine Patientenverfügung zu verlangende bestimmte
Behandlungsentscheidung.
Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen
Feststellungen ergibt sich auch kein auf den Abbruch der künstlichen Ernährung
gerichteter Behandlungswunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffenen. Daher
kann derzeit nicht angenommen werden, dass die Bevollmächtigte sich offenkundig
über den Willen ihrer Mutter hinwegsetzt, was für die Anordnung einer
Kontrollbetreuung in diesem Zusammenhang erforderlich wäre. Das Landgericht wird
nach Zurückverweisung allerdings zu prüfen haben, ob mündliche Äußerungen der
Betroffenen vorliegen, die einen Behandlungswunsch darstellen oder die Annahme
eines auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willens
der Betroffenen rechtfertigen.
Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:
§ 1901 a BGB Patientenverfügung
(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den
Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in
bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende
Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche
Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der
Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation
zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten
Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit
formlos widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die
Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und
Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den
mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu
entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie
untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu
ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder
schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche
Wertvorstellungen des Betreuten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und
Stadium einer Erkrankung des Betreuten.
(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung
verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf
nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.
(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte
entsprechend.
§ 1904 BGB Genehmigung des Betreuungsgerichts bei
ärztlichen Maßnahmen
(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung
des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff
bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr
besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren
und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung
darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr
verbunden ist.
(2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der
Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine
Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des
Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die
begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder
des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden
gesundheitlichen Schaden erleidet.
(3) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu
erteilen, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der
Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht.
(4) Eine Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht
erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber
besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der
Einwilligung dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten
entspricht.
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen
Bevollmächtigten. Er kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2
genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung
widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und
schriftlich erteilt ist.
Vorinstanzen:
AG Adelsheim - XVII 39/15 - Beschluss vom 14. Oktober
2015
LG Mosbach - 3 T 7/15 - Beschluss vom 26. Januar 2016
Karlsruhe, den 9. August 2016
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